Florian Schubkegel
hat den «Pestalozzi Stiftepriis» für seinen Ausbildungsabschluss erhalten
Der Film «Krähen –Nature Is Watching Us» stellt dem Publikum Krähen als unsere Chronisten vor und verfolgt dabei die These, dass Rabenvögel dank ihrer aussergewöhnlichen kognitiven Fähigkeiten ein kollektives Wissen über die Kulturgeschichte der Menschheit aufgebaut haben. Regisseur Martin Schilt erklärt im Interview, was Krähen so faszinierend macht.
Seit je her beschäftigen die Raben die Menschen und fanden Eingang in Sagen, Märchen, Mythologien und Literatur. Jetzt produzierten Sie einen abendfüllenden Film dazu. Was war die Initialzündung?
«Mach doch einen Film über Krähen!», hat mir mein damals neunjähriger Sohn nach einer Filmpremiere von «Die Weisenberger» empfohlen. Das war vor fast zehn Jahren. Ganz ohne ornithologisches Vorwissen habe ich mich bereits im Verlauf einer ersten Recherche Hals über Kopf in diese Vögel verliebt.»
Warum denn?
Wahrscheinlich fasziniert mich vor allem das Menschliche an den Rabenvögeln. Und ich erkannte auch schnell das Räbische an mir selbst…»
Wie meinen Sie das?
Als Journalist und Filmemacher beobachten wir die Welt und berichten darüber. Das machen Krähen und Raben auch. Sie sind unsere schwarzen Chronisten.
Ein wichtiger Teil sind die Einblicke in Forschungsprojekte auf der ganzen Welt mit beeindruckenden Aufnahmen. Wie darf man sich die Recherchen dazu vorstellen?
Zum Glück bin ich zu Beginn der Recherchen schnell auf die Forschungsarbeiten von John Marzluff gestossen. Er konnte mit seinen Langzeitexperimenten belegen, dass Krähen menschliche Gesichter auseinanderhalten und sich an sie erinnern können. Mehr noch, seine Studien zeigen: Krähen haben die Fähigkeit dieses «Wissen» an ihre Nachkommen und an andere Krähen weiterzugeben. Diese Erkenntnis führte dann zur These des Films: In den Krähen-Revieren gibt es ein kollektives ‹Wissen› über uns Menschen. Die Natur beobachtet uns.»
Was macht das Filmen von Krähen besonders?
Rabenvögel gibt es überall. Menschen auch. Wir Menschen haben uns gemeinsam mit Krähen und Raben über alle Kontinente der Erde verbreitet. Gut möglich, dass sie uns auf unseren Entdeckungsreisen und Eroberungszügen den Weg gewiesen haben, – so wie die dreibeinige Krähe, die der Legende nach, den ersten Kaiser von Japan ins Land geführt hat und dafür bis heute das Trikot der Fussball-Nationalmannschaft ziert.
Wenn die Vögel überall zu sehen sind, sollte es ein Leichtes sein, sie zu filmen, oder?
Leider nicht, denn das Herausfordernde beim Filmen von Krähen ist: Sie beobachten uns zwar seit Urzeiten, aber sie mögen es gar nicht, wenn man sie beobachtet. Journalistinnen und Journalisten schätzen es übrigens in der Regel auch nicht besonders, wenn man ihnen über die Schulter schaut.
Während viele Tierarten durch den menschlichen Einfluss in die Ökologie aussterben, ergibt sich bei den intelligenten Rabenvögeln ein anderes Bild. Es scheint, dass diese Tiere von uns sogar profitieren. Wo sehen Sie die Gründe?
Rabenvögel sind extrem anpassungsfähig und sie profitieren als Kulturfolger tatsächlich vielerorts von uns Menschen: Städte, Agglomerationen, zersiedelte Landschaften, – Krähen finden hier Sicherheit, Nahrung und Nistplätze im Überfluss. Die intensive Landwirtschaft mit Monokulturen sorgt ebenfalls für ein schier unerschöpfliches Nahrungsangebot, genauso wie Food Waste auf dem Pausenplatz.
Sie sind kulinarisch also unkompliziert, wenn man das so sagen darf?
Sehr! Rabenvögel fressen fast alles. Auch Aas und Leichenfleisch. Das gab und gibt es auch in Kriegen oder nach Katastrophen stets zur Genüge. Der grosszügigste Fleischlieferant für Krähen und Raben war schon immer der Mensch. Dem Image der Rabenvögel war und ist das natürlich nicht besonders förderlich.
Der Film zeigt zudem, dass eigentlich die Krähen uns beobachten statt wir sie. Wie haben Sie dies bei den Dreharbeiten erlebt?
Es ist extrem schwierig natürliches Krähenverhalten zu dokumentieren. Wenn wir Krähen filmen, filmen wir eigentlich fast immer Krähen, die eine Filmequipe beobachten. Es war unser erklärtes Ziel eine Krähenfamilie bei der Aufzucht aus wenigen Metern zu beobachten, ohne dass sich die Familie gestört oder beobachtet fühlt. Für die Dreharbeiten musste sich unser Kameramann Attila Boa unsichtbar machen. Keine leichte Aufgabe, wenn es darum geht die aufmerksamsten Beobachter zu beobachten. Zum Glück gibt es auch bei Krähen einen Gewöhnungseffekt: Nach zwei Jahren haben die Krähen die Kamera langsam ignoriert.
Der Unterton Ihres Filmes macht nachdenklich, was die Zukunft der Menschheit angeht. Wie optimistisch sehen Sie auf das, was auf uns zukommt?
Wir teilen mit den Rabenvögeln nicht nur unsere Geschichte, der Homo sapiens hat mit seinen schwarzen Begleitern eine ganze Menge gemeinsam: Raben und Krähen probieren genau wie wir Menschen alles Neue aus. Der Rabenforscher Bernd Heinrich bezeichnet das im Film als «Neophilie», also eine Vorliebe für neue Dinge. Andererseits kombinieren sie diese ausgeprägte Neugierde mit einer gehörigen Portion Vorsicht. Sie untersuchen alles Neue haargenau. Sie sind zudem neugierig, wissbegierig und sie verfügen zweifellos über so etwas wie einen Verstand – genau wie wir Menschen. Die Grundvoraussetzungen, dass wir mit den Rabenvögeln unsere gemeinsame Geschichte weiterschreiben können, wären also nicht so schlecht. Es kommt nun halt darauf an, was wir aus unseren Möglichkeiten machen, – das gilt für uns Menschen genauso wie für Krähen.
Die koloniebrütenden Saatkrähen machen mitten in Siedlungen und Städten Lärm und Dreck und lösen Debatten aus. Hätten Sie einen Tipp?
In Zeiten der Energiemagellage ganz aktuell: Lichter aus! Saatkrähen und Rabenkrähen suchen vielerorts Schlaf- oder Brutplätze, die in der Nacht beleuchtet sind. Das schützt sie vor Ihren natürlichen Feinden, den Uhus. Weniger ‹Food Waste› hilft sicher auch.
uha/sk
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