Trixi Gisler
reist für die Nonprofit- Organisation «ilanga» nach Äthiopien
70 Gäste aus Politik und Wirtschaft nahmen an der 12. Ausgabe des Polit-Treffpunkts ZMP im Gletschergarten Luzern teil. Der Polit-Treffpunkt stand ganz im Zeichen des Klimawandels und der Deglobalisierung.
Luzern Der diesjährige Polit-Treffpunkt ZMP richtete den Fokus auf «Treiben uns Klimawandel und Konflikte in die Deglobalisierung – und fördert dies den Protektionismus?». Das Ziel der Veranstaltung war, die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren und zu diskutieren sowie die Bedeutung für die Landwirtschaft herauszuschälen. Extreme wechseln sich ab: zum Beispiel Trockenheit oder zu viel Wasser. Braucht es neues geeignetes Saatgut und Alternativen beim Nutzen unseres Bodens? Das hat weitere Auswirkungen – zum Beispiel auf die Ernährungspyramide: weniger Fleisch – mehr Milchprodukte. Das Ressourcenprojekt «KlimaStaR Milch» erlaubt es der Schweizer Milchbranche, Lösungen für eine graslandbasierte standortangepasste und klimafreundliche Milchproduktion gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern auszutesten.
Thomas Grüter, Präsident ZMP, eröffnete den Polit-Anlass mit dem Hinweis, dass die Milchwirtschaft mit dem Anteil von zirka 25 Prozent die grösste Branche innerhalb der Schweizer Landwirtschaft ist – und somit für die Schweiz wichtig und wertschöpfungsbringend. Leider sei beim Thema Klimawandel immer noch die Kuh selbst negativ behaftet. Die Branche könne sich diesem Thema nicht entziehen und müsse einen Beitrag dazu leisten. Die Kuh aber dauernd als «Klimakiller» darzustellen sei zu kurz gegriffen. In der Gesamtbetrachtung mit dem Graswachstum wird heute festgestellt, dass die Kuh ein Teil eines natürlichen Kreislaufes ist. Diese Erkenntnis setze sich zunehmend in neuesten Studien durch. Zur Deglobalisierung führte der Präsident aus: Vor Corona war klar der Trend Richtung Globalisierung. Corona und der Ukrainekrieg mit Rohstoffknappheit brachten jedoch eine Wendung zu Deglobalisierungsbestrebungen und habe die Staatschefs gezwungen, für ihre eigenen Leute zu sorgen. Der Handel wurde eingeschränkt. Jedes Land sorgte sich primär um das eigene Wohl. Im Nachgang hatten wir deutliche Anzeichen und auch Aussagen, dass die Länderautonomie wichtiger werde. Die Milchwirtschaft mit den Milchproduzenten seien sogar als systemrelevant eingestuft worden. Das Thema Deglobalisierung sei aktuell wieder in den Hintergrund getreten. Bei einer nächsten Krise würden jedoch die Diskussionen wiederkommen.
Dr. David Bosshart lancierte das Thema mit seinem Referat als Futurist mit einem philosophischen Ansatz. Noch nie seien die Meinungen bei der Landwirtschaft und bei der Ernährung so fragmentiert und ideologisiert gewesen. Vor lauter Bäumen sehe man den Wald nicht mehr und lebe von abstrakten praxisfernen Wunschvorstellungen. Wir brauchen wieder mehr Bodenhaftung und kluge, kontinuierliche und ausweisbare Schritt-für-Schritt-Innovationen. Am meisten Mangel hätten wir jedoch beim «Common Sense», beim gesunden Menschenverstand. Kern der Nachhaltigkeit sei = sozial. Die Ernährung gehe in die gleiche Richtung wie die Energiediskussion der letzten zehn Jahre. «Politics first» – Verpolitisierung der Ernährung und Regulierungsdruck nehmen zu, ebenso die Ineffizienzen in den Lieferketten. Es werde uns weiterhin gut gehen, aber wir werden vermehrt zwischen Überfluss und Mangel leben. Was Tatsache ist: Bei vielen Themen gehe es um reine Machtpolitik und geschickte Manipulation. Viele Menschen konsumieren Informationen, ohne die Quelle zu hinterfragen oder Phänomene in einem grösseren Zusammenhang zu sehen. Wenn wir nicht immer mehr Vorschriften und Verbote wollen, müssen wir den «Mindset» ändern. Das sei das Anspruchsvollste überhaupt, denn das kann weder politisch verordnet, noch nur mit Preismechanismen gesteuert werden. Im europäischen Vergleich seien wir in der Schweiz nicht so schlecht dran. Jedoch: am schnellsten wachsen global ungesunde und unökologische Angebote, die reine Marketingprodukte darstellen (Fast Food, Convenience Food, Ultraprocessed Food). Parallel dazu beleuchtete David Bosshart eine weitere Tatsache: Kriege seien die überhaupt grössten Umweltsünder und vernichten neben allem Leid auch die Anstrengungen der Klimapolitik. David Bossard wünscht sich Führungspersönlichkeiten mit langem Atem, klaren Vorstellungen und starken Nerven, die pragmatisch vorgehen und Informationen hinterfragen – und eben, wie erwähnt – ein «Mindset», das auf gesundem Menschenverstand basiert und dem Mut, Innovationen anzugehen. Nicht nur dann, wenn uns eine Krise dazu zwingt.
Eva Reinhard, Geschäftsführerin von Agroscope, die sich auf praxisorientierte angewandte Forschung für Land- und Ernährungswirtschaft fokussiert, beleuchtete in erster Linie die Konsequenzen der Erderwärmung für die Landwirtschaft, die aber auch Chancen biete. Die weidebasierte Milchproduktion sei kosteneffizient und trage dazu bei, die Konkurrenz zwischen Futter- und Nahrungsmitteln zu verringern. Die Tiere seien jedoch der steigenden Umgebungstemperatur und der Sonneneinstrahlung direkt ausgesetzt. Aktuell forsche man mit dem Projekt «DryMount» an neuen trockenheitstoleranten Futterbau-Mischungen für Berggebiete. Der effiziente Einsatz neuer Ressourcen in der Fütterung erfordert Kenntnisse der ernährungs-physiologischen Eigenschaften und des Einflusses auf die tierischen Leistungen, die Umwelt und die Qualität der Produkte. In das gleiche Thema gehe das Forschen mit Mikroalgen als Futterbasis. Zentral sei auch, dass die Inlandproduktion entscheidend für den Selbstversorgungsgrad sei und die Nachhaltigkeit der Land- und Ernährungswirtschaft beeinflusse. Um die gesetzten Klimaziele bis 2050 zu erreichen, brauche es eine Weiterentwicklung mit neuen Schwerpunkten; u. a. der Fokus auf das gesamte Ernährungssystem, die Stärkung der Branchenverantwortung, nachhaltiger Handel sowie ständige Innovation und Offenheit für Neues.
Der Klimawandel ist eine der grössten Herausforderungen für die Gesellschaft. Er sei auch eines der grössten Risiken für das Nestlé-Geschäft, führt Daniel Imhof, Head Agricultural Affairs, aus. Als grösstes Nahrungsmittelunternehmen der Welt habe Nestlé die Grösse und den Umfang, um kollektives Handeln zu inspirieren. Um den weiteren globalen Temperaturanstieg zu begrenzen, verpflichte sich das Unternehmen, bis 2050 netto null Treibhausgasemissionen zu erreichen. Die grossen Herausforderungen für Klimaprojekte im Milchsektor beschrieb Daniel Imhof mit mangelndem Know-how, dem Faktor Zeit und den Kosten sowie in der Kompetenz, Projekte voranzutreiben. Es bestehe ein hoher Bedarf an externen Kooperationen in einem effizienten und ressourcenschonenden Umfeld. Die Vorteile, Milch in der Schweiz zu produzieren, sehe er unter anderem in der Regionalität, der Vermarktung der hohen Qualität, in der Berglandwirtschaft und bei der Ernährungssicherheit – ebenso in der Sensibilität für Nachhaltigkeit und in der Vielfalt der Produkte. So auch die Tatsache, dass sich die Schweiz als Epizentrum der weltweiten Forschung und Entwicklung im Bereich der regenerativen Landwirtschaft etabliert habe.
Anhand des Labels «Aus der Region – für die Region» zeigte Rolf Bernhard, Leiter Agronomie und Produktionssysteme im Departement Marketing des Migros-Genossenschaftsbunds, auf, wie weit die Konsumentinnen und Konsumenten mitspielen. Aktuell sei ein Rückgang bei der Konsummilch festzustellen: Der Anteil der veganen Milch hat sich seit 2019 zwar auf tiefem Niveau verdoppelt. Die Mengenentwicklung im Käse 2022 liegt leicht über dem Niveau vor Corona. Wissen im Wertschöpfungssystem bestmöglich vernetzen, das sei effizient – ganz im Sinne der Formel: Regionalität = Nachhaltigkeit = Versorgungssicherheit. Kommunikation spiele auch eine zentrale Rolle: Für Konsumentinnen und Konsumenten soll ein intuitiv verständlicher transparenter Kompass für «nachhaltigen Konsum» entwickelt werden. Die Migros Luzern erkannte die Chance vom Label «Fleisch aus der Zentralschweiz» und weitete es 1999 auf die weiteren Warenbereiche aus. So entstand im gleichen Jahr das Label «Aus der Region – für die Region». Mit dem Kauf von regionalen Produkten könne man die heimische Wirtschaft unterstützen. Und: regionale Produkte seien Qualitätsprodukte – frischer und geschmackvoller.
Moderator Adrian Krebs fühlte in der Diskussionsrunde «Arena» den Gästen Martin Haab (Nationalrat Kanton Zürich), Peter Hegglin (Ständerat Kanton Zug), Damian Müller (Ständerat Kanton Luzern), Prisca Birrer-Heimo (Nationalrätin Kanton Luzern) und Michael Töngi (Nationalrat Kanton Luzern) den Puls betreffend Klimapolitik. Auf die Frage, warum die SP nicht führend sei in dieser Thematik, antwortete Prisca Birrer-Heimo, dass das Klima natürlich ein Thema sei, jedoch der Schwerpunkt eher bei Fragen wie der Kaufkraftverlagerung oder im Sozialen sowie Konsumentenschutz liege. Die SVP hingegen erscheint im Ranking einer aktuellen Umfrage bereits an 3. Stelle. Darauf Martin Haab: Das sei schon seit langer Zeit ein Thema, dies vor allem auch, weil die Partei die meisten Bauernvertreter/-innen im Parlament stelle. Die Thematik werde jedoch realistisch betrachtet und nicht ideologisiert. Und wie steht es mit der FDP? Damian Müller sieht dies einhergehend mit einer zunehmenden Sensibilität der Gesellschaft. Die Politikerinnen und Politiker müssen laufend die bestehende Gesetzgebung prüfen, informieren und entscheiden, wenn das Gesetz in eine falsche Richtung läuft, die den Gegebenheiten nicht mehr entspreche. Dazu würden auch verursacherbezogene Massnahmen gehören, die zu ergreifen seien. Weiter gebe es zu viele Labels, jedoch mit der Chance eine Wahl zu haben. Der Die Mitte Vertreter Peter Hegglin betont, dass Klima und Umweltschutz immer ein Thema der Partei waren. Als Präsident der Branchenorganisation Milch erwähnt Peter Hegglin, dass diese vorbildlich einen Schritt vorausgehe, um branchenweite gemeinsame Lösungen zu finden aufgrund datenbasierter Erkenntnisse. In diese Richtung geht auch die Offensive von «KlimaStarR Milch». Man war sich in der Runde einig: Es sei ein gemeinsames Ziel, die Wertschöpfung zu stärken. Davon sollen auch die Produzierenden profitieren (im Sinne der Mehrleistung mehr Geld auch für Bauernbetriebe). Prisca Birrer-Heimo fügte bei, dass Labels vertrauenswürdig sein müssen und ihr eine weniger grosse aber glaubwürdige Auswahl an Produkten lieber sei, als ein Riesenangebot. Aus dem Publikum meldete sich Boris Beuret (Präsident SMP) und betonte, wie wichtig es sei, zu wissen, wohin die Reise führt. Klima sei allgegenwärtig und habe im täglichen Alltag der Produzierenden direkten Einfluss. Kosten steigen – Erträge schwinden. Mögliche Massnahmen sieht er in der Wiesenfütterung und darin, mit dem Kauf von Schweizer Produkten einen wichtigen Beitrag zur CO2-Reduktion beizusteuern. Michael Töngi nahm den Fütterungsaspekt auf und erläuterte, dass nicht die Kuh der «Klimakiller» sei, sondern die importierten Futtermittel, die keine Nachhaltigkeitsnachweise erbringen müssten und schon gar nicht klimaneutral produziert worden seien. Damian Müller präzisierte, dass 85 Prozent des Futtermittels in der Schweiz produziert würden – also nahezu CO2-neutral. Konsum steuere die Produktion und nicht umgekehrt. Für Peter Hegglin ist klar: Klimaziele brauchen Erhebungen, um die richtigen Massnahmen abzuleiten und umzusetzen.
Zusammenfassend sind sich sowohl die Referierenden als auch die Podiumsteilnehmenden einig: Wir sind alle betroffen und es gibt nur ein Miteinander der verschiedenen Beteiligten, es braucht vermehrt Informationen und klare Kommunikation bezüglich Klimaziele – und auch datenbasierte Grundlagen, um die richtigen Entscheide und Massnahmen zu treffen. Und: Ein grosser Beitrag für eine positive CO2-Bilanz können wir mit dem Konsum von regionalen beziehungsweise Schweizer Produkten beitragen – ganz im Sinne von «Regionalität = Nachhaltigkeit = Versorgungssicherheit». Um das Mindset zu ändern, gehört auch das Schritt-für-Schritt-Umsetzen von Innovationen. Bestrebungen zur Deglobalisierung sind in der Versorgungssicherheit festzustellen, jedoch nicht in der Informationstechnologie. Diese ist so global wie noch nie. Unbestritten war auch die Tatsache, dass die Inlandproduktion entscheidend für den Selbstversorgungsgrad und für die Nachhaltigkeit in der Land- und Ernährungswirtschaft ist.
pd/sk
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